19.06.–10.08.1997

Das filmische Werk CREMASTER 5 des in New York lebenden Künstlers Matthew Barney (geb. 1967 in San Francisco) hat im Portikus Frankfurt Weltpremiere. CREMASTER 5 ist der letzte Teil eines epischen Zyklus, bei dem jeder einzelne Videofilm ein in sich geschlossenes Werk darstellt, das an einem spezifischen Ort entstanden ist bzw. im Fall von CREMASTER 2 und 3 noch entsteht: in einem Football-Stadion in Barneys Heimatstadt in Idaho; auf dem "Columbia Ice Field", Kanada; dem Chrysler Tower, New York; der Isle of Man in der Irischen See; in der Staatsoper, den Gellert Thermalbädern und auf der Kettenbrücke in Budapest. Budapest, Schauplatz von CREMASTER 5, ist auch die Geburtsstadt des legendären Entfesselungskünstlers Harry Houdini (1874- 1926), der wie auch die Football-Legende Jim Otto in Matthew Barneys Werk eine symbolhafte Rolle spielt.

Matthew Barney hat seit Anfang der 90-er Jahre mit einer ganz eigenen, von Metaphern und Symbolen durchtränkten Bildsprache einen Platz im internationalen Kunstgeschehen inne. Frühe Videos wie OTTOshaft oder DRAWING RESTRAINT setzen sich hauptsächlich mit dem Skulptur-Begriff auseinander, in den CREMASTER-Videos geht es dem Künstler stärker um das Cinematographische, das Geschichtenerzählen.

Im Zentrum der CREMASTER-Reihe steht der Konflikt einer pränatalen Entwicklung eines Reproduktionssystems. In CREMASTER 1 schweben zwei Zeppeline über einem Football-Stadion in der Form eines "Y", und bilden damit die Form eines reproduktiven Gebildes vor der sexuellen Differenzierung (also in den ersten sieben Wochen in der Entwicklung eines menschlichen Fötus). Unterschiedliche Charaktere in der CREMASTER-Reihe spiegeln opponierende Kräfte, die das Schicksal zu beeinflussen suchen und dadurch einen narrativen Spannungsbogen entstehen lassen. Die Kremaster-Muskeln, die dem filmischen Zyklus Matthew Barneys ihren Namen leihen, sind die Muskeln, die das Anheben bzw. Senken der Hoden bewirken, je nach Temperatur und Angst-zuständen. Der Begriff griechischen Ursprungs, der wörtlich das bezeichnet, "was in der Höhe hält", wird zur Metapher eines sich in der Schwebe befindlichen, noch nicht definierten Zustands. Ein biologischer Prozess wird zum symbolhaften Austragungsort eines Kampfes um die Bestimmung einer skulpturalen Form.

Für CREMASTER 5 hat Matthew Barney das Drehbuch geschrieben, vor und hinter der Kamera agiert, den Ton und den Schnitt betreut. Die Präsentation des Werks im Portikus verwandelt die gesamte Kunsthalle samt Außenfassade. Somit schließt sich der Kreis vom eigentlichen Thema des Werks über die Form seiner Präsentation bis zur Konzeption des Portikus als Experimentier- und Konzentrationsfeld zu einem Aufscheinen von Möglichem. In einem Interview sagte Matthew Barney: "Das Eindruckvollste, das mir je jemand über meine Arbeiten gesagt hat, kam von diesem Typen, der Wächter in einem Eishockeystadion war. Er ging jeden Morgen um fünf Uhr hin und hat die Kohlenwasserstofflampen angemacht, und dann hat er sich in die erste Reihe gesetzt, hinter die Plexiglasscheibe, an den leeren Ring. Diese Lampen werden erst rosa und dann grün, und dann werden sie langsam kalt und weißer und weißer. Er hat gemeint, mit meinen Arbeiten sei es so, wie wenn man diesem künstlichen Sonnenaufgang zusieht - die Melancholie, die einen angesichts dessen ergreift, was sich im Zustand der Potentialität befindet."

Die Ausstellung im Portikus wird von Hugo Boss unterstützt. Matthew Barney ist der erste Preisträger des Hugo Boss Prize des Solomon R. Guggenheim Museums, New York.