04.03.–09.04.1995

Der französische Künstler Raymond Hains, geb. 1926 in Saint-Brieuc (Bretagne), ist einer der wichtigen Künstler der Gegenwart. Abgesehen von Plakatabrissen der 60er Jahre und der Teilnahme am "Nouveau Réalisme" ist sein Werk im deutschen Sprachraum jedoch kaum bekannt. Hains' Werk umfaßt unter anderem auch abstrakte fotografische Arbeiten (ab 1946), die später "Hypnagogoscope" genannt wurden, sowie ungegenständliche Filme, die zu den Pionierleistungen des unabhängigen Experimentalfilms zählen.

Wie kaum ein anderes Werk ist das künstlerische Oeuvre von Raymomnd Hains ein "work in progress" mit einer fast endlosen Reihe an Wortspielen und Bildassoziationen, so daß die konzeptuellen Ausstellungsinstallationen wie Destillate erscheinen. Beim genauen Hinsehen werden Beziehungsgeflechte mit unzähligen Schichten deutlich.

"Ich gehe seit den frühen 60er Jahren bei jeder Ausstellung vom Ausstellungsort und seinem Namen aus. Daraus ergeben sich mannigfaltige Bezüge, die die Welt aufzeigen" (Hains).

Für den Portikus hat Raymond Hains eine Installation entwickelt, die ausgehend vom Ort Frankfurt und der Architektur des Portikus Verbindungen knüpft zu Hains' eigenem künstlerischen Werdegang seit 1944, der Kunstgeschichte und der Philosophie. Ausgangspunkt ist ein Portikus-Motiv, das Hains von Apollinaires Kalligramm vom

18. Februar 1915 (Briefe an Lou) abnahm und als Motiv der Ausstellung einsetzt. Der Name Apollinaire führt ihn zurück zu seiner ersten Ausstellung in der Mailänder Galerie Apollinaire im Mai 1960, mit der die Bewegung des "Nouveau Réalisme" begann. Hains zeigt in der Ausstellung im Portikus eine vergrößerte Version des damals von ihm gestalteten Titelblatts zum Katalog, für das er die Namen der ausstellenden Künstler Arman, Dufrêne, Hains, Klein (Yves le monochrome), Tinguely und Villeglé optisch verzerrte. Die verblüffende, visuelle Parallele vom Katalogtitelblatt für die Galerie Apollinaire (1960) und dem Apollinaire-Kalligramm (1915) leitet Hains zu weiteren Bezügen - zur Rolle von Apollinaire und Antonin Artaud in der Nachkriegszeit in Paris (berühmter Vortrag von Artaud 1947 im "Theatre du Vieux Colombier", dem Hains beiwohnte, wogegen Apollinaire im selben Theater 1916 einen entscheidenden Vortrag über moderne Kunst und Dichtung hielt), aber auch zur Reise nach Rom, zu der Hains durch die Ausstellung in der Galerie Apollinaire 1960 angeregt wurde. Von da aus ergibt sich der Bezug zu Goethe und seiner Italienreise von 1780, zur Begegnung Goethes mit Jaques Louis Davids Bild "Der Schwur der Horatier" und von da zum französischen Aufklärer Marquis de Bièvre, zu den Louvre-Gemälden des französischen Malers Hubert Robert sowie zum heutigen Phänomen des "Grand Louvre"...

Mit einer großangelegten Außeninstallation zum "Grand Louvre" im Außenbereich des Portikus - gezeigt werden weiter eine Arbeit zu Kant, der Brauerei Kanter und Kants Königsberger Verleger Jacob Kanter, mehrere hundert Dias aus Hains' Archiv und wichtige Arbeiten wie Plakatabrisse, nahezu unbekannte abstrakte Filme und eine Nachbildung eines Teils von Hains' Atelier - ergibt sich eine "Großausstellung im Kleinen" über das ein halbes Jahrhundert umfassende Lebenswerk von Raymond Hains.

Die Ausstellung wird begleitet von einer ausführlichen Publikation "Raymond Hains, Gast auf der Durchreise", die von Robert Fleck betreut und herausgegeben ist. Die französische Fassung dieses Buches "Le 3 Cartier - du Grand Louvre aux 3 Cartier" wurde herausgegeben von Hervé Chandès, Paris 1994. Die Ausstellung von Raymond Hains in der Fondation Cartier pour l'art contemporain (1994/95) stellte einen wichtigen Vorläufer für die Ausstellung im Portikus dar.

Fotos: Katrin Schilling