17.08.1994

Zwei Welten: die der Form, der Konstruktion, des Bildes; und die der naturhaften Prozesse, des Werdens und Vergehens, der ersten und letzten Dinge. Tamara Grcic spannt ihr Ensemble an diesen beiden Endpunkten auf, um dazwischen ein ganzes Spektrum scheinbar alltäglicher Vorgänge und Wahrnehmungsmuster unter Spannung zu setzen.

In den letzten drei Jahren arbeitet die 1964 geborene Künstlerin und ehemalige Filmstudentin bei Peter Kubelka vor allem mit Naturobjekten. Über viele Monate hat sie zuerst in akribischen Versuchsreihen die verschiedenen Stadien des Zerfalls diverser Obst- und Gemüsesorten verfolgt und dokumentiert. Geordnet, formalisiert, damit auch auf Distanz gehalten, zeigten die noch frischen, schon faulenden, verschimmelnden, zerlaufenden oder verschrumpelten Objekte für einen begrenzten Zeitraum auch dem außenstehenden Betrachter ein ihnen eigenes Potential der Übertragung. Ihre körperliche Präsenz, die Sicht- und Riechbarkeit realer Veränderungen stellten ein unsichtbares Umfeld von Emotionen und Assoziationen her, ohne sich dabei auf ein Bedeutungsmuster reduzieren zu lassen.

In einer Folge von Schritten, die sich jeweils an bestimmten räumlichen, zeitlichen und situativen Zusammenhängen orientierten, hat Tamara Grcic den thematischen Raum ihrer Arbeiten ausgedehnt und seine Grenzen immer durchlässiger gemacht. Die hermetische Erfassung natürlicher Zyklen ist in einen eher spielerischen Umgang mit dem Material übergegangen, das sie in andere Kontexte setzt und mit formalen Elementen kombiniert, wodurch Übergänge zwischen Naturhaftigkeit und Künstlichkeit, realen Gegebenheiten und imaginären Möglichkeiten entstehen.

„Blumenbilder" z.B. heißen ihre Installationen mit Gerbera, einer Züchtung, die in identisch sich reproduzierender Form und scheinbar unbegrenzter Farbpalette zugleich das Urbild einer Blume und extreme Künstlichkeit verkörpert. In standardisierten Kartondisplays, die sonst ihrem Transport dienen, hingen die Gerbera an der holzvertäfelten Wand des Regionalbüros einer Versicherungsgesellschaft, in täglich wechselnden Kombinationen der Farben und des Grades an Frische bzw. Verwelktheit. In einer industriellen Fassung als Rahmen entblößt und dem Verwelken preisgegeben, traten sie aus dem „Bild" der Blume in eine konkrete Wirklichkeit über.

Im Portikus tritt eine Wirklichkeit in einen Bildrahmen, ohne jedoch selbst Bild zu werden. Die Zwölf-Stunden-Ausstellung hat eher den Charakter einer Aktion. Kein bleibendes oder überhaupt nur als solches zu definierendes Kunstobjekt wird präsentiert, sondern 700 gelbe Honigmelonen „besuchen" den Kunstraum und verbreiten sich über ein den Großteil des Raums einnehmendes, unregelmäßiges Display von Tischen. Ihre eigentliche Wirklichkeit liegt in einem anderen Kreislauf, der sich hier mit dem der Kunst nur kurz überschneidet.

In der benachbarten Großmarkthalle zirkulieren diese Früchte in täglichen und jahreszeitlichen Zyklen in wesentlich größeren Mengen. Ihre organische Existenz ist eingebunden in genaue Zeitpläne und Transportwege, die zügig durchlaufen werden, um ihre Frische bis zu ihrem Bestimmungsort zu erhalten. Wie ein Industrieprodukt bilden sie einen Bestandteil eines mehr oder weniger homogenen verfügbaren Warenangebots. Der Kurzaufenthalt im Portikus bedeutet ein Anhalten dieser Zeit. Die individuelle Anordnung, die sie einnehmen, wird wichtig, ihre Spannung zu einem anderen Raum, einem Display, ihre Farbe, der Geruch, der von ihnen ausgeht. Ihre Deplazierung, die Befreiung aus ihren genormten Kisten mündet in eine Freisetzung einer intensiven physischen Ladung, die sonst verborgen bleibt.

Für Tamara Grcic wird dadurch für einen Moment eine imaginäre Realität sichtbar, die zwischen zwei einander eigentlich fremden Welten existiert. In dem Film, der davor und danach weiterläuft, erscheint kurz ein anderes Bild. Dessen Rückwirkung mündet schließlich sogar in eine tatsächliche Umleitung: ursprünglich war geplant, die Melonen nur zu entleihen, um sie danach in denselben Kreislauf zurückzuführen. Da dies jedoch aus lebensmittelrechtlichen Gründen nicht möglich war, wurde das Projekt durch eine Spende von einem Frankfurter Großhändler ermöglicht. Nach der Ausstellung gehen die Melonen an die Hessische Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Schwalbach, Gelnhausen und Schöneck.

Foto: Katrin Schilling