09.04.–29.05.1994
Spätestens seit Sigmar Polkes großen Retrospektiven in vier amerikanischen Museen (1990-1992) und im Stedelijk Museum Amsterdam (Herbst 1992) ist auch bei den Skeptikern der Zweifel gewichen, daß sie es mit einem der wichtigsten zeitgenössischen Künstler überhaupt zu tun haben.
Seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre experimentiert Polke (geb. 1941) mit durchscheinenden Bildträgern; er tränkt bestimmte Stoffe mit künstlichen Harzen, bevor er sie bemalt; auf diese Weise wird das Lattengerüst, der Rahmen, selbst Bestandteil der Bildgestalt. Parallel dazu entstehen Bilder, die beidseitig bemalt sind, und deren Rückseite jeweils den Fond für die Bilderscheinung abgibt, die dem Betrachter zugewandt ist.
Bereits seit den frühen Bildern auf bedrucktem Stoff hat sich Polke dafür interessiert, den Bildträger ästhetisch virulent zu machen. Mit den durchscheinenden, doppelseitigen Bildern erreicht diese Tendenz eine neue Qualität. Denn nun sehen wir uns - abgesehen von den motivischen Überlagerungen - faktisch drei Bildebenen gegenüber: der bemalten Oberfläche, dem Stoffmuster und der durchscheinenden Rückseite, wobei sich das Ganze, umgekehrt betrachtet, verdoppelt. Solchermaßen geraten wir zusehends an eine Grenze, die das in der Wahrnehmung Faßbare zuweilen übersteigt. Interessant ist, daß Polke in diese Form des Bildes Erfahrungen einbringen kann, die seiner eigentlichen künstlerischen Laufbahn noch vorausliegen: zwischen 1959 und 1960 hat er eine Glasmalerlehre in Düsseldorf absolviert.
Erstmals anläßlich seiner amerikanischen Retrospektive hat Polke eine Gruppe von 13 doppelseitigen Bildern in wandschirmartige Gehäuse eingebracht, die von innen und außen zu begehen waren ("Laterna Magica" und "Laterna Comica", 1988-1990). In Amsterdam war 1992 eine zweite Fassung mit 21 Bildern zu sehen ("Laterna Magica I - XXI", 1990). Eine dritte Fassung wurde jüngst in Barcelona gezeigt.
Für den Portikus Frankfurt ist nun - bezogen auf die Dimensionen des Ausstellungsraumes - eine weitere Version mit 22 Bildern entstanden, von denen einige bisher noch nie zu sehen waren. Mit der Komplexität der Bildgestalt einher geht unterdessen auch die Komplexität der Bildthemen. Die bisherigen "Laternae Magicae" machten ihrem Namen alle Ehre: Sie boten ein Universum aus Fabeln, Märchen, alchemistischen Motiven und zahllosen weiteren, deren Quellen der Erschließung noch harren. Dabei entstanden auch Interferenzen zwischen der Alchemie der Motive und der alchemistischen Prozedur der Bildentstehung selbst. Wir dürfen gespannt sein, welche Überraschungen der unerschrockene Experimentator Polke im Portikus für uns bereithält.
Fotos: Katrin Schilling