27.02.–04.04.1993
Erstmals im Frühjahr 1991 hat der Portikus mit der Ausstellung von Malereien Chéri Sambas einen afrikanischen Künstler vorgestellt. Nun, zwei Jahre später, gehen wir erneut das Wagnis ein, eine Brücke zu einem uns immer noch fremden kulturellen Kontext zu schlagen, im Bewußtsein der möglichen Gefahr eurozentristischer Lesart.
Bruly Bouabré, der in Abidjan an der Elfenbeinküste lebt, wurde 1923 in Zeprégühé geboren, einem Dorf, das sechs Busstunden von Abidjan landeinwärts in nordwestlicher Richtung liegt. Hier leben die Bété, die drittgrößte Population des Landes. Mit ihnen ist Bruly Bouabré nach wie vor eng verbunden; für sie, die keine eigene Schriftsprache kennen, hat der Künstler ein phonetisches Alphabeth erfunden, das mehr als 400 Zeichen umfaßt. Die Ergebnisse dieser nicht nur künstlerischen, sondern im besten Sinne kulturellen Arbeit werden einen Schwerpunkt der Ausstellung bilden.
Bruly Bouabré, der schon zu seiner Schulzeit an einer Schule der Weißen le poète genannt wurde, bezeichnet sich selbst als chercheur, als Sucher nach Wissen und einer universalen religiösen Wahrheit, die er in Gedankensplittern niederschreibt. Als solcher versteht er die Welt als Text, und derart universell sind auch die Fundstellen der Zeichen, die diesen Text ausmachen. Seine Lektüre gilt gleichermaßen den Narbenschriften der Körpereinritzungen wie den Fußspuren von Tieren, den einheimischen Goldgewichten ebenso wie den Emblemen westlicher Werbung, den Unebenheiten von Orangenschalen und Kolanüssen wie den Formationen der Wolken.
Auf Hunderten von kleinformatigen farbigen Zeichnungen (meist 14,5 x 9 cm) hat Bruly seit Ende der siebziger Jahre ein Universum von Piktographien geschaffen, die jetzt zum ersten Mal in diesem Umfang einem europäischen Publikum zugänglich gemacht werden.
Es ist indessen kein exotischer Kontext, der hier gezeigt werden soll. Bruly Bouabrés Universum der Signaturen vermag vielmehr eine verschüttete Dimension unserer eigenen Kultur aufzudecken, die etwa in einer alchimistischen Tradition (Paracelsus'Lehre von den Signaturen) aufbewahrt ist und zuletzt von der Frühromantik revitalisiert wurde. Daß ein solches Weltverständnis gegen Ende unseres fortschrittsorientierten und naturverneinenden Jahrhunderts erneut virulent wird, ist kein Zufall. Insofern liegt der Kontinent, in dem Bruly Bouabrés Kunst wurzelt, dem europäischen näher, als man gemeinhin annimmt. Das Experiment, das die Ausstellung der Arbeiten Bouabrés im hiesigen Kontext eingeht, besteht in der Frage, inwieweit seine Kunst, die weder abstrakt noch formal ist, die gleichermaßen narrativ und heraldisch ist, im Kontext westlicher Kunstproduktion ihren Stellenwert gewinnen wird.
Fotos: Katrin Schilling