04.10.–10.11.1991

In den Anfängen seiner künstlerischen Arbeit beschäftigte sich Christian Boltanski (geb. 1944 in Paris) autodidaktisch mit Malerei, wobei er sich hauptsächlich mit historischen Themen auseinandersetzte. Ende der 60er Jahre wandte er sich jedoch von der Malerei ab und begab sich auf die Suche nach den Spuren der (eigenen) Vergangenheit, mit der ihn - wie er feststellen mußte - nicht viel mehr verband als eine handvoll Bilder. Und diese Bilder waren es, die Boltanski dazu brachten , die bis dahin angewandte Methode , seine Bilder zu erfinden, in Zweifel zu ziehen. Der Fortschritt in die Vergangenheit lieferte ihm demgegenüber andere Bilder, in deren Erinnerung die Fiktion und das Finden authentischer Zeugnisse verschmolzen. Die systematische Rekonstruktion der eigenen Kindheit und Jugend mit teils dokumentarischen, teils fiktiven Bildern war in der Folge sein Ausgangspunkt, wobei er sich eine weite Spanne von Medien wie Film, Video, Performance, Fotografie erschließt, ohne daß er darin einen Widerspruch zu seinem Selbstverständnis als Maler, das er weiterhin aufrechterhält, ableitet. Das Zusammenwirken unterschiedlicher Medien ist auch ein wesentliches Element der seit den 80er Jahren im Zentrum seiner Arbeit stehenden raumfüllenden Installationen. Auch diese entwerfen immer wieder eindringliche "Bilder", in denen Boltanski aus wie immer gearteten Fundstücken im wörtlichen Sinne Vergangenes nachzeichnet, das heißt Lebensgeschichten zurückruft, die vergangen sind und nur in der Erinnerung lebendig bleiben, unabhängig davon ob es sich um das eigene oder das Leben anderer handelt.

Die Ausstellung zeigt erstmals die gesamten, zahlreichen Künstler-Bücher und Mail Art-Projekte Christian Boltanskis von 1968-1991. Diese beiden weniger im Bewußtsein des öffentlichen Interesse stehenden Komplexe besitzen jedoch für Boltanski eine hervorragende Bedeutung innerhalb seines Gesamtwerks, weil sie eine alternative Realisationsvariante darstellen, die seiner künstlerischen Praxis einen - im Vergleich zu seinen raumbezogenen Installationen - adäquaten Ausdruck verleihen. Der Portikus setzt damit seine Tradition fort, parallel zur Frankfurter Buchmesse einen Künstler zu präsentieren, der einen expliziten Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem Buch als künstlerischem Medium geleistet hat.

Im Portikus erscheint das von Boltanski gestaltete Künstler-Buch "Sans-Souci", 16 S. mit 56 s/w Abb. Das Buch basiert auf dem Faksimile-Nachdruck eines privaten Photoalbums, das typische Amateuraufnahmen aus den dreißiger Jahren enthält, wie sie in unzähligen Alben zusammengetragen wurden. Der Buchtitel bezieht sich auf das erste Photo, auf dem eine Besuchergruppe vor der berühmten Potsdamer Residenz Friedrichs II. posiert. Sein Name charakterisiert auch die Gefühlslage der auf den nachfolgenden Photos abgebildeten Menschen, deren Unbeschwertheit allerdings aus der Kenntnis der Geschichte Unbehagen und/oder Zweifel auslöst.

Foto: Katrin Schilling