28.08.–29.09.1991
Raoul De Keyser wurde 1930 im belgischen Deinze bei Gent geboren, wo er bis heute lebt und arbeitet. Erst relativ spät, im Alter von 33 Jahren, begann er zu malen, mittlerweile umfaßt sein Werkverzeichnis über 600 Nummern. Dieser bemerkenswerte Werdegang mag vielleicht als Erklärung der Tatsache dienen, daß bereits die frühen Bilder aus der Mitte der 60er Jahre wesentliche Elemente enthalten, die für De Keysers Malerei bis in die Gegenwart entscheidend geblieben sind und zu seiner Eigenständigkeit beitragen.
Die abstrakte Bildwelt Raoul De Keysers vermittelt unterschiedliche Ansätze, die in einzelnen Bildern oder Werkgruppen bearbeitet werden. Charakteristisches Anschauungsmerkmal seiner Malerei ist die spannungsreiche oder ausgeglichene Zueinanderordnung autonomer, amorpher und /oder klar-konturierter Farbflächen. Die diese häufig überlagernden figurativen Elemente früher Bilder, treten später zugunsten gestischer Versatzstücke bzw. Störungen sowie flächendeckender monochromer Übermalungen zurück. Innerhalb dieses stilistischen Spektrums ist eine Vielzahl von Varianten und Kombinationen feststellbar, wobei De Keyser in unregelmäßiger Folge immer wieder auf frühere Werktypen zurückgreift und damit einer eindimensionalen Entwicklungslogik seines Werkes widerspricht.
Die bereits angesprochene Schichtung der einzelnen, das Gemälde konstituierenden Elemente ist das wesentliche Kriterium seiner malerischen Praxis. Die Flächenformen dringen einerseits, ohne perspektivische Eindeutigkeit, in den Bildraum ein, oder werden andererseits auf der Bildfläche in- und übereinander geschoben. Dieser bildräumliche Aspekt vermittelt gleichzeitig ein zeitliches Moment, insofern die Überlagerung als Übermalung das zuvor gefundene Bild entscheidend verändert oder auslöscht, wobei monochrome Gemälde eine malerische Versiegelung darunter existierender Schichten bedeuten, welche nicht sichtbar, aber als verborgene Sedimente spürbar sind. Diese zeitliche Dimension der Schichtung wird durch die häufige Angabe von zwei Jahreszahlen unterstrichen, die nicht etwa auf einen langandauernden, kontinuierlichen Prozeß der Vollendung verweisen, sondern auf die mehrfache Übermalung von zuvor akzeptierten Zuständen des Bildes.
Die Ausstellung im Portikus, die zuvor in umfangreicherer Werkauswahl in der Kunsthalle in Bern zu sehen war, ist ausdrücklich nicht als Retrospektive gedacht und angelegt - auch wenn sie Werke umfaßt, die bis zum Beginn von Raoul De Keysers Malerei zurückreichen. Ihr Schwergewicht liegt - und das gilt auch für den Katalog - bei Arbeiten der letzten fünf Jahre. Diese Entscheidung hat ihren Grund nicht nur in allgemeinen Vorbehalten gegen den kanonisierenden, abschließenden Charakter der Retrospektive und ihre ideologischen Implikationen der Ursprungs-Suche, sondern vor allem im Wesen von De Keysers Malerei selbst. Mit der Schichtenbildung nämlich integrieren die einzelnen Arbeiten - jedenfalls in Momenten - die Geschichte des eigenen Werkes, bilden selbst Retrospektiven unter der Bedingung von deren Negation. In gewisser Weise würde daher eine Retrospektive im gewöhnlichen Sinne als gegen das Werk gerichtete Enthüllung funktionieren. Mit den jüngsten Arbeiten aber erhält dieser Sachverhalt die größte Aktualität.
Fotos: Katrin Schilling