08.09.–21.11.2021

Eröffnung: 7.9.2021, 18-21h

Portikus freut sich, die erste Video- Einzelausstellung des renommierten amerikanischen Künstlers, Theaterregisseurs und Pädagogen Pope.L (*1955) in Deutschland zu präsentieren. 

In der Ausstellung Misconceptions zeigt Pope.L eine neue Videoproduktion mit dem Titel Missverständnisse, die sich mit den Themen Misogynie, Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Vorurteile und Stereotypisierungen auseinandersetzt, die bis heute in unserer Gesellschaft existieren. Die Ausstellung nutzt Satire, Lachen und Tabus als Mittel, um relevante und schmerzhafte Wahrheiten hervorzubringen, darunter die Unterordnung unter das Selbst, patriarchale Strukturen, Klasse, Nation und Formen der Ignoranz.

In mehreren Episoden der von Pope.L konzipierten TV-Gameshow, die im Portikus und an verschiedenen Orten in der Frankfurter Innenstadt inszeniert und gefilmt wurden, wurden die Teilnehmer*innen, sowohl professionelle Schauspieler*innen als auch Laien, aufgefordert, sich mit Geschlechterklischees und rassistischen Stereotypen wie Blackfacing, das im 19. Jahrhundert in den USA erfunden wurde und in der deutschen Gesellschaft immer noch existiert,auseinanderzusetzen und dabei ihre eigenen  Meinungen und Überzeugungen, sowohl zu diesen Themen als auch Annahmen über ihre Mitstreiter*innen einzubringen.

Pope.L, dessen künstlerische Arbeiten die Bilder und Vorstellungen von Identität, Nationalismus, Gleichheit und Race sowie deren gesellschaftliche Kategorisierung und Geschichte nicht nur in Frage stellen, sondern geradezu zu herausfordern und vorführen, nutzt Formate des Alltäglichen und des Gewöhnlichen als „freundliche“ Transmitter. Seine Projekte, die zwischen Porträt, Karikatur und Tragödie changieren, werden in Formen präsentiert, die auf den ersten Blick leicht konsumierbar erscheinen, aber letztlich in Schluckauf enden. Verursacht wird diese Irritation durch Sprache, Abbilder und Handlungen, welche in ihrer oft unangenehmen und überladenden Vorführung die Komplexität ihres Ursprungs und schlussendlich
auch ihre Absurdität offenbaren.

In Missverständnisse nutzt Pope.L das Konzept einer TV-Gameshow, einem populären Medium, in dem Kandidat*innen um einen Preis konkurrieren, um ein abstrahiertes und bewusst provokatives Bild der deutschen Gesellschaft zu zeichnen, wobei er die Demografie Frankfurts als Ausgangspunkt nimmt. Frankfurt ist ein Paradigma für eine Stadt der Extreme: Die sozialen und ökonomischen Gegensätze im Finanzzentrum Deutschlands sind nicht zuletzt durch die Unterschiede des Bankenviertels mit prägnanten Hochhäusern und dem angrenzenden Bahnhofsviertel mit Prostitution, Drogenhandel und -Konsum im auf eindringliche Weise präsent und spiegeln auf kleinstem Raum die gesellschaftlichen (Miss-)Verhältnisse.

Das von Pope.L erdachte Skript der TV-Gameshow verortet Rassismus und Blackness absichtlich in
einer überholten Vorstellung von deutscher Kultur und Geschichte und kreiert eine Idee Deutschlands aus der Sicht eines charmanten aber arroganten Amerikaners. Die Einbeziehung mehrerer Teilnehmer*innen verschiedener Generationen, unterschiedlicher Biografien, Berufen und kulturellen Hintergründen hebt nicht nur deren sozialen Unterschiede hervor, sondern verstärkt auch die existierenden Vorurteile untereinander. Mit der direkten Gegenüberstellung der Teilnehmer*innen als Konkurrent*innen der TV-Gameshow, werden die Vorurteile und Klischees, die sowohl innerhalb einer Gesellschaft bestehen und im Falle von Pope.Ls Arbeit auch von außen herangetragen werden, verstärkt. So provoziert die Arbeit einen drastischen und teilweise schmerzhaften, komple-xen Prozess der Selbsterkenntnis und kollektiven Auseinandersetzung.

Die Dramaturgie einer Gameshow, die mit Geltungswillen und Kampfgeist der einzelnen zur Unterhaltung aller rechnet, wird als Remix aus der Geschichte und der Gegenwart von TV-Unterhalt-ung in Misconceptions zu ihrem eigenen Klischee.
Mit Referenzen aus den amerikanischen Unterhaltungs- und Quizshows der 1950er und 1960er-Jahren bis zu jenen von Aktivität und Abenteuer getriebenen Spiel- und Reality TV-Shows der 1980er-Jahre spiegelt sie diesen Wandel des Gebrauchs und des Bedürfnisses von Unterhaltung, welche bis hin zu einer ungeteilten Teilnahme an dem Leben der „Anderen“ führt.Wobei, wie in Missverständnisse, nicht sicher ist, was „wirklich“ oder „gespielt“ ist.


Misconceptions als Ausstellung bietet viele Wahrheiten an, welche sich Stück für Stück entfal-ten lassen: im Verhalten der Kandidat*innen vor der Kamera, in den geschriebenen Rollen der Schauspieler*innen und in dem Dokumentationsmaterial, das die Gemachtheit von Missverständnisse offenbart. Der permanente Wechsel zwischen Fake und Fakt, Trugschluss und Tatsache sowohl in der Produktion als auch der finalen Videoarbeit macht die Konstruktion ihrer selbst aber auch jener bedienten Klischees, Stereotypisierungen und „Wahrheiten“ sichtbar. Denn ein Klischee als einseitige Erzählung, die im Alltag als Wort oder Meinung unbedacht gebraucht wird, hat im Drehbuch dieselbe scheinbare Bedeutung, wie die spontanen Reaktionen der realen Kandidat*innen.

Die Herausforderung von Missverständnisse ist es, sein Wissen und seine Überzeugungen in Frage stellen zu lassen, auch wenn Bilder und Handlungen eine eindeutige Sprache sprechen zu scheinen.

Christina Lehnert, Kuratorin

Die Ausstellung Misconceptions wird ermöglicht durch die maßgebliche Unterstützung von Outset Contemporary Art Fund und Städelschule Portikus e.V. Großzügig unterstützt wird sie von der Hessische Kulturstiftung, dem Kulturamt der Stadt Frankfurt am Main und dem Mittagstisch. Weitere Unterstützung erfolgt von Julia Stoschek, Vielmetter Los Angeles, Mitchell-Innes & Nash, New York und French Bento Bar, Frankfurt.