17.03.–16.04.1990
Hanne Darbovens "Quartett `88" ist vier herausragenden Frauen des 20. Jahrhunderts gewidmet: Marie Curie, Rosa Luxemburg, Gertrude Stein und Virginia Woolf. Darin wird die Bedeutung ihrer Arbeit auf den Gebieten Wissenschaft, Politik/Gesellschaft und Kunst/Literatur im Kontext der zeitparallelen kulturhistorischen Ereignisse auf die Gegenwart bezogen. Die Struktur der Arbeit basiert auf dem von Hanne Darboven in den letzten 20 Jahren entwickelten ästhetischen Konzept, zeitliche Abläufe auf- und auszuschreiben.
Die Methodik von Hanne Darbovens ästhetischem Konzept basiert auf der Anschaulichkeit mathematischer Operationen und der Auseinandersetzung mit der philosophischen Logik, auf deren Grundlage sie ihre Werke als "mathematische Literatur" und "mathematische Musik" bezeichnet. Immer wiederkehrendes Thema ist die Zeit, deren progressiver Fluß nur an der Natur wahrnehmbar ist. Demgegenüber veranschaulicht Hanne Darboven die Begrenztheit unserer Existenz anhand der einfachen Systematik des Kalenders. Diesen im Kalender veranschaulichten Ablauf der Zeit überträgt sie in ein transparentes System, das auf der Addition der Ziffern zur Bezeichnung des Tages, des Monats und des Jahres basiert, wobei sie die Zahlen für das Jahrhundert und Jahrtausend streicht und die Zahl zur Benennung von Jahrzehnt und Jahr als natürliche Zahlen behandelt. Aus dieser einfachen mathematischen Operation ergeben sich lediglich 42 Kombinationsmöglichkeiten innerhalb eines Jahres, von denen nur der 1.1. sowie der 30. und 31.12. einmalig auftreten.
Gleichzeitig überträgt Hanne Darboven dieses additive Konzept aus Tagesdaten in Partituren, wobei die Ziffer 1 für die Note, 2 für f, 3 für g, usw. steht. Zusammengesetzte Zahlen werden darin in einem Intervall von zwei Noten ausgedrückt, z.B. 31=g-e, 24=f-h, usw., und die mit 0 verbundenen Zahlen als gebrochene Akkorde eingesetzt.
In "Quartett `88" wird auf 745 Einzelblättern der Zeit-Raum des Jahres 1988 aufgezeichnet. In den Zeitlauf des Jahres - bildlich markiert durch das Photo einer lebensgroßen Puppe aus der Zeit der Jahrhundertwende - sind die Lebenszeiten der vier Frauen durch Hervorhebung ihrer Geburts- und Sterbedaten eingeschrieben und somit mit dem Entstehungsjahr des Werkes eng verflochten. Während der Sterbetag nur durch die Einsetzung des Porträts gekennzeichnet ist, erscheint an den Geburtstagen eine Synopsis der individuellen Lebensgeschichte. Darin folgen einer Auflistung der Geburtstage der jeweilige Abschnitt aus dem Brockhaus - als Verweis auf die Biographie - sowie Auszüge aus dem Stein Kulturfahrplan, in denen der Kontext der zeitparallelen Ereignisse in den Bereichen der Politik, Wissenschaft und Kunst für die Geburts- und Sterbejahre der Frauen umrissen wird. Als Abschluß der Synopsis folgt die Reihe von Einzelblättern für jeden Geburtstag, bevor der Zeitlauf des Jahres `88 wiederaufgenommen wird. An das Ende der Arbeit hat Hanne Darboven den Abdruck der zweisprachigen Ausgabe von Gertrude Steins "Geburtstagsbuch" gestellt, in dem diese die Tage des Jahres als Struktur für ein Gedicht mit dem Charakter eines poetischen Tagebuchs benutzt hat.
Im Sinne dieser konzeptuellen Methode mit ihrer interdisziplinären Verknüpfung von bildender Kunst und Literatur legen die Werke von Hanne Darboven, neben der Präsentation in Ausstellungen, eine Veröffentlichung in Buchform als eine ästhetisch und inhaltlich adäquate Alternative nahe. Das nun parallel zur Ausstellung im Portikus Frankfurt am Main (17. März - 16. April 1990) erscheinende Buch bildet im verkleinertem Maßstab alle Zeichnungsblätter unter Berücksichtigung des für viele Arbeiten Hanne Darbovens charakteristischen rotgerahmten Blattschemas, so daß die Arbeit formal und inhaltlich lesbar bleibt.
Fotos: Katrin Schilling