03.02.–11.03.1990
Im vergangenen Jahr malte Jörg Immendorff während der Sommerakademie in Salzburg eine Serie von Bildern unter dem Titel "Das großartige, ewige 1. Semester". Eine Auswahl von ca. zwanzig Gemälden und zehn Gouachen wird nun im Portikus erstmals ausgestellt. Mit dieser Serie vollzieht Immendorff einen Brückenschlag von seiner gegenwärtigen Arbeit zu seinen politisch motivierten Aktivitäten der frühen siebziger Jahre, sowie seiner zukünftigen Situation als Lehrender an einer Staatlichen Kunstakademie, der Städelschule in Frankfurt am Main.
Die Illustration dieser Schanierfunktion findet ihren Ausdruck in dem zur Ausstellung publizierten "Handbuch der Akademie für Adler", das seinerseits zurückgreift auf Immendorffs Buch "Hier und Jetzt: Das zu tun, was zu tun ist" aus dem Jahre 1973. Für diesen Zweck werden die noch existierenden Exemplare des früheren Buches in ein neues eingebunden, erweitert um einen Vor- und Nachspann. Darin werden die neuen Bilder in einem Kontext gezeichneter Bild-Geschichten wiedergegeben, die diese ergänzend kommentieren. Darüber hinaus enthält es einen umfassenden Text von Diedrich Diedrichsen, der sich mit Jörg Immendorffs Arbeit der letzten zwanzig Jahre grundlegend auseinandersetzt.
Die folgenden Passagen zitieren jedoch Jörg Immendorff selbst aus seinem Vorwort 3 zum "Handbuch der Akademie für Adler":
"Mit diesem Buch in das neue Jahrzehnt. Dieses Buch für die Welt, die eh vergeht.
Das Prinzip der Ambivalenz, das in Frage stellen - der Malerfeind im Maler ist sein bester Freund - muß meine Sache sein.
Zwei Schenkel bestimmen es.
1) Es ist das Handbuch der Akademie für Adler.
2) Es ist das Zwischenbuch. Auf dem Wege zum Rechenschaftsbericht 1993.
Die Wünschelrute als Geweih des Affen.....
Die Prinzipien, die Arbeitsprinzipien, die Arbeitsgrundlage waren Naivität, die Technik Inszenierung. Abgrenzung und sich Aufgaben stellen.
Ob ich gerne Geschichten erzähle? Viel zu gern. Es ist meine Schwäche. All die Energie, meine Malkraft, wird überschattet von dem Wunsch, zuviel hineinzupacken, wo ich aus einem Bild hundert machen könnte. Da steht die Aufgabe ständig gegenzusteuern. Was den Kunstsammler bei meinen Arbeiten zum Nachdenken anregen könnte, weiß ich nicht. Ich stelle für jedermann Arbeitsmaterial zur Verfügung und jeder nuß sich einbringen, Energien entwickeln, um mit diesem Material etwas beginnen zu können.
Wichtig ist das Verhältnis von Aggressivität und Hilflosigkeit. Man sieht sich einer Welt gegenüber, mit der man nichts gemein haben möchte. Die Erkenntnis, daß man das, was man an der Welt nicht schätzt, auch in sich trägt, fordert Aktivität. Ich muß es niederringen. Ein hin und her. Nur mit permanenter Anstrengung zu handhaben.
Die Herausforderung ist die Positionsfindung. Ich kämpfe an zwei Fronten. Abgrenzung gegenüber dem was war und gegenüber dem was ist. Entscheidend war der Entschluß sich zwischen die Stühle zu setzen.
Wie mir der Affe passiert ist, weiß ich augenblicklich gar nicht mehr so recht. Er sollte der Mahnende sein. Glaub dir nicht alles. Element der Selbstironie auch. Der Zwiespalt, daß diese Arbeit die schönste ist, die ich mir vorstellen kann - die ich so wichtig nehme - und gleichzeitig weiß - es ist das Letzte.....
Die politischen Aktivitäten der 60er Jahre bedeuten für mich eine große Klammer - sie ermöglichten mir eine Identifikation - sie waren eine Art Paravant, hinter dem ich mich wohlfühlen konnte.
Es entstanden Grundlagen für die inhaltliche Ausrichtung meiner Malerei. Mit den ideologischen Korsetts mußte ich dann später brechen. Sie drohten jede künstlerische Freiheit zu ersticken. Der Künstler allein muß zuständig für die Gesetzmäßigkeit seiner Arbeit sein. Wenn er das aufgibt, gibt er die Arbeit aus der Hand.....
Ob es eine Welt gibt, die ich mir geschaffen habe, bevor ich in und mit ihr arbeiten konnte, ist eine sehr gute Frage.
Die Arbeit an einer Welt ist mühsam. Sie reicht bis ans Ende unserer Tage und darüber hinaus. Wir haben uns um guten <<Nachwuchs>> zu kümmern.....
Die schwarzen Bilder, die gleich kommen werden auf den nächsten Seiten, handeln von mir und anderen, handeln von meiner Beziehug zu anderen, zu anderen möglichen Arbeiten. Die Arbeit an einem neuen Energiefeld, manifestiert in den Bildern der letzten Jahre. Ein Energiefeld aus Ost und West. Dieser Aufgabe muß ich mich heute annehmen. Mit Partnern aus Ost und West dafür zu sorgen, daß es zu einem neuen Energiefeld kommt. Gegen ein Verwesten des Ostens und Verosten des Westens.....
Wie ich arbeite? Ohne Tricks und doppelten Boden oder mit Tricks und ohne doppelten Boden etc. Entscheidend: Verhinderung eines fahlen Geschmacks im Munde und Verteidigung der Fähigkeit zu sehen, daß bei aller Größe, die ich meiner Arbeit unterstelle, sie auch der größte Unsinn sein kann.
Ich halte mich als richtige Sekunde bereit."
Fotos: Katrin Schilling