13.02.–10.04.2016

Eröffnung: 12.02.2016, 20h 

Der Portikus freut sich, die Ausstellung Earshot von Lawrence Abu Hamdan anzukündigen, die erste Einzelausstellung des Künstlers in Deutschland. In seiner Arbeit und Forschung beschäftigt sich Abu Hamdan, der in Beirut lebt, mit der Wahrnehmung von Sprache und Sound und mit dem Zuhören als Stellungnahme (‚politics of listening’). Das Formenspektrum seiner Projekte umfasst audiovisuelle Installationen, Performances, Grafik, Fotografie, islamische Predigten, Tonbandkompositionen, Kartoffelchipverpackungen, Essays und Vorträge. Diskurse über nationale Identität, Menschenrechte und Rechtsprechung gehören zu den in seinen Werken immer wieder aufgegriffenen Themen. Die Techniken seiner audioästhetischen Praxis bilden die Grundlage seiner Tätigkeit als ‚private ear’, einem auf Sounds und Sprache spezialisiertem privaten Ermittler, bei der er mehrfach juristische Ermittlungen mit forensischen Audioanalysen unterstützt hat.

Im Mai 2014 erschossen israelische Soldaten im besetzten Westjordanland (Palästina) die beiden Jugendlichen Nadeem Nawara und Mohamad Abu Daher. Die Menschenrechtsorganisation Defence for Children International trat an Forensic Architecture, eine am Goldsmiths College angesiedelte Einrichtung für erweiterte Architektur- und Medienforschung, heran. Diese untersuchte den Vorfall in Zusammenarbeit mit Abu Hamdan. Im Mittelpunkt stand eine audio-ballistische Analyse der Tonaufzeichnung der Schüsse, die klären sollte, ob die Soldaten Gummigeschosse abgefeuert hatten, wie sie aussagten, oder gesetzwidrig mit scharfer Munition auf die beiden unbewaffneten Jugendlichen geschossen hatten.

Eine detaillierte Soundanalyse, bei der Abu Hamdan spezifische Methoden zur Visualisierung der akustischen Frequenzen einsetzte, bewies, dass die Soldaten scharfe Munition abgefeuert und darüber hinaus versucht hatten, die tödlichen Schüsse als Gummigeschossfeuer zu tarnen. Die Visualisierungen bildeten später das zentrale Beweisstück und wurden vom Nachrichtensender CNN und anderen internationalen Nachrichtenagenturen aufgegriffen, sodass Israel seine ursprüngliche Aussage, keine scharfe Munition verwendet zu haben, korrigieren musste. Die Untersuchung wurde auch dem US-Kongress als Beispiel für die israelischen Verstöße gegen das amerikanisch-israelische Waffenübereinkommen vorgelegt.

Gut ein Jahr, nachdem Abu Hamdan seinen Bericht verfasste, widmet er sich in seiner Ausstellung Earshot erneut dem Fall von Abu Daher und Nawara. Aufbauend auf dem ursprünglichen Beweismaterial hat er eine Installation aus Klängen, Fotografien und einem Video geschaffen, die die Ästhetik des Beweismaterials und die politische Bedeutung von Sound und Stille aufgreift. Das Video mit dem Titel Rubber Coated Steel bildet den Mittelpunkt der Installation, die für den Portikus entstand, und entwirft das Szenario eines Prozesses, das über diesen seriellen Sound des Tötens zu Gericht sitzt. Es will nicht die Stimmen der Opfer dirigieren, sondern vielmehr ihr Schweigen hörbar machen, um so die grundsätzliche Frage aufzuwerfen, wie Rechte heute Gehör finden.

Anlässlich und im Laufe der Ausstellung erscheint ein Künstlerbuch, welches vom Portikus und der Kunst Halle Sankt Gallen herausgegeben wird.

Der Katalog und die Ausstellung von Lawrence Abu Hamdan wurden im Rahmen des Ausstellungs- und Katalog-Förderpreises „Kataloge für junge Künstler“ der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung ausgezeichnet. Die Ausstellung wird außerdem großzügig unterstützt von der Hessischen Kulturstiftung.