08.06.–08.07.1990

Eine Veranstaltung von Portikus in Zusammenarbeit mit dem Institut für Neue Medien an der Städelschule.

Fotos: Katrin Schilling 

 

Projektion der Liveübertragung der Fußball WM 1990 aus Italien, sowie Kunstvideos aus aller Welt.

24 Tage - 52 Spiele - 110 Stunden Videokunst

Kunst in Bewegung, wie auch Wissenschaft in Bewegung, wird in ihrem Wachstum gehemmt durch Legitimationsdruck. Wer zu viele Fragen beantworten muß, warum man das tut, was man tut, wird am Ende weniger machen. Dieser Selbstrechtfertigungsdruck lähmt die Entwicklung, und der Druck entsteht auch als Folge der Frage: was ist Kunst? Hinter der Frage, wann Video Kunst ist oder welche Bänder nun als Kunst zu betrachten sind, steckt der Herrschaftsanspruch historisch gewachsener traditioneller Formen gegenüber der Suche nach neuer Kunst. In Malerei und Skulptur sind Kanons und Kriterien entwickelt worden, um Werke und Werte nachvollziehbar zu erklären. Schwierig wird es, wenn man ästhetische Kriterien aus historisch gewachsenen Formen auf junge Kunstformen anwendet. Die in Deutschland ständig gestellte Frage "ist es Kunst?" bedeutet in Wahrheit: ist es Kunst nach der traditionellen Interpretation. Die Frage selbst wird fraglich im Sinne von Walter Benjamins Aussage zu Photographie: "ob nicht durch die Erfindung der Photographie der Gesamtcharakter der Kunst sich verändert habe". ("Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit") Diese Aussage gilt auch für alle anderen technischen Medien. Noch wichtiger wäre jedoch die folgende Frage: auf welche Weise haben technische Medien nicht nur die soziale Funktion von Kunst verändert, sondern auch den Gesamtcharakter der Ästhetik bzw. der Ästhetik einer besonderen Kunstform. Das Entstehen neuer Kunstformen bedeutet die Infragestellung oder sogar Beseitigung alter Ansätze und Kriterien, um mit neuen Daten, neuen Kommunikationsformen, mit anderen Künsten und den Wissenschaften zu verschmelzen, analog beispielsweise der Renaissancemalerei. Die zeitweilige Nähe der Videokunst zur Wissenschaft ist bestimmt durch ihre starke Abhängigkeit von Medien und Technologie. Malerei ist erstarrte Technik. Die zeitbasierten Künste wie Musik oder Film sind wesentlich abhängiger von Technologie, d.h. von Maschinen, elektronische Musik oder Video beispielsweise. Aufgrund dieser sensiblen Abhängigkeit von Maschinen, die nicht nur notwendig sind für die Produktion und Rezeption, sondern auch für ihre flüchtige, abstrakte, visuelle Existenz, gilt der künstlerische Status von Videokunst unter traditionellen Gesichtspunkten als nicht gesichert.

Daher beruht unsere Auswahl nicht auf traditionelle Kriterien. Wir beabsichtigen nicht ein fiktives, visuelles Kompendium oder eine Nomenklatur der Videokunst zu präsentieren. Wir halten uns nicht für autorisiert, Videokunst zu bestimmen, wir möchten vielmehr unsere Aufmerksamkeit auf die Wirkung der Bilder richten. Die obsessive Natur im Fluß der Medienbilder, die große Teile des öffentlichen Lebens sowie individuelle Wünsche strukturieren, die Komplizenschaft der Bilder und der Verrat des Bildes in der Öffentlichkeit, d.h. die Kodierung sozialer Muster durch Bilder, die Konstruktion eines Universums mittels technischer Bilder, die Erzeugung von Techno-Imaginationen: das sind die Themenschwerpunkte dieses Videofestivals. Die technischen Medien sind lediglich die Trägermedien für neue Visionen. Uns beschäftigt die Herausforderung der platonischen Idee des Bildes durch die komplexe Natur der elektronischen Medien.

Daher werden nicht nur magnetische Aufzeichnungen, d.h. die traditionelle Form von Videokunst gezeigt, sondern auch künstlich hergestellte Animationen auf Videobändern gespeichert. Neben Beispielen klassischer Videokunst und preisgekrönter Computeranimationen existieren bizarre Visionen fremder Erfahrungen, singulärer Aufstände, subjektiver Idiosynkrasien. Zu den künstlerischen Innovationen kommen wissenschaftliche Visualisierungen und Anwendungen im Bereich des kommerziellen Designs. Wir versuchen also den offenen digitalen Raum zu skizzieren, in dem elektronische Bilder sich ausbreiten, um den Rahmen zu zeigen, innerhalb dessen die Macht der Bilder sich entwickelt. Uns beschäftigen die neuen Dimensionen des Bildes und nicht seine Legitimation. Die Erforschung dieses Bereichs technischer Bilder ist wichtiger als ihre Limitierung. Wir möchten die Dimensionen der Leinwand erkennen, die elektronische Bilder aufgespannt haben. Wir möchten ihre Koordinaten folgen, ihren Umfang und ihre Macht verstehen.

Diese Veranstaltung ist auch als ein Versuch in sozialer Ästhetik gedacht. Daher wird Portikus von den Designern Ginbande und den "Freien Köchen" aus der Städelschule in einen Club verwandelt, mit Bar, Kneipe und einer gemütlichen Atmosphäre. Wir möchten herausfinden wie ein öffentliches Medium, das privat rezipiert wird, erneut geöffnet werden kann für eine öffentliche Rezeption. Auf Video trifft offensichtlich zu, was Walter Benjamin über das Kino sagte: ,Die Rezeption in der Zerstreuung, die sich mit wachsendem Nachdruck auf allen Gebieten der Kunst bemerkbar macht und das Symptom von tiefgreifenden Veränderungen der Apperzeption ist, hat am Film ihr eigentliches Übungsinstrument. In seiner Chockwirkung kommt der Film dieser Rezeptionsform entgegen.' Ein Model der Zerstreuung und Auflösung.