30.09.–29.10.1989

Der 1942 in der New Yorker Bronx geborene Lawrence Weiner ist einer der bedeutendsten Vertreter der Konzept-Kunst, einer Form der Kunstproduktion, die sich in den 60er Jahren entwickelt und etabliert hat. Hinter diesem Begriff verbergen sich unterschiedliche Ansätze und Positionen, deren Gemeinsamkeit in einem Werkbegriff zu sehen ist, der jede formale und materielle Ästhetik zugunsten der Angabe von Strukturen aufgibt, die das Werk als System von Beziehungen, die den Rezipienten einschließen, definieren. Lawrence Weiner hat die Konzeption seiner Arbeit in einer programmatischen Erklärung zusammengefaßt:

1. DER KÜNSTLER KANN DAS WERK BAUEN / 2. DAS WERK KANN ANGEFERTIGT WERDEN / 3. DAS WERK MUSS NICHT GEBAUT WERDEN / JEDE MÖGLICHKEIT IST GLEICHWERTIG UND JEDE ENTSPRICHT DER ABSICHT DES KÜNSTLERS / DIE ENTSCHEIDUNG ÜBER DEN ZUSTAND LIEGT BEI DEM EMPFÄNGER IM MOMENT DER ÜBERNAHME.

Seit 1967 benutzt Lawrence Weiner ausschließlich die Sprache als Medium seiner Arbeit. Er arbeitet mit Sätzen und/oder Satzteilen, die er in Form von Büchern, Plakaten, Wandschriften, aber auch akustisch durch Schallplatten vermittelt. Diese Sätze oder Satzfragmente bezeichnen häufig Ortsangaben oder sind Beschreibungen auf den jeweiligen Kontext bezogener Bedingungen oder Umstände; dazu kommen aber auch Redewendungen einer bestimmten Sprache. Dabei unterscheiden sich seine Arbeiten in grundsätzlicher Weise von Literatur. Ihre Übersetzung in die jeweilige Landessprache des Ausstellungsortes demonstriert eine Gleichwertigkeit der Sprachen, die den Kontext der Arbeit bilden, der ihre Rezeption beeinflußt und verändert. Dazu Weiner in einem Interview vom April 1989: ,Literatur ist ein Versuch, im Kontext einer narrativen oder nicht-narrativen Struktur die Beziehungen zwischen Menschen und Menschen wiederzugeben, und Kunst gibt die Beziehungen zwischen Menschen und Objekten wieder. Dichtung ist im Wesentlichen unübersetzbar; es ist möglich, eine ungefähre Übersetzung zu geben, aber die Dichtung ist dafür gemacht, die Schönheit, die Form und den Sinn der Sprache selber zu zeigen. Und meine Arbeit ist von Anfang an dafür angelegt, in physische Gestalt oder in andere Sprachen übersetzt zu werden. Literatur handelt in ihrem Wesen von einer subjektiven Realität und Kunst von einer objektiven Realität."

Lawrence Weiners künstlerische Praxis konstruiert unter Verwendung unterschiedlicher Materialien lesbare Strukturen, wobei das Buch als standardisierter Gebrauchsgegenstand als Träger der Präsentation eine herausragende Bedeutung für seine Arbeit besitzt.

Das Künstlerbuch hat sich seit den 60er Jahren als künstlerisches Ausdrucksmittel etabliert. Indem sie die traditionelle Verwendung des Buches zur Illustration literarischer Texte verwarfen, definierten die Künstler selber diese Bücher als Objekte künstlerischer Praxis. Sie griffen darin Konzepte der Avantgarde-Bewegungen der 10er und der 20er Jahre auf und erweiterten sie: das von Künstlern hergestellte Buch übernahm eine neue Funktion als Instrument für die Propagierung und Verbreitung künstlerischer Konzeptionen. Ein neues autonomes Medium stellte sich so neben Malerei und Skulptur.

Fotos: Katrin Schilling