25.09.–14.11.2010

»... Dann verzehrte Feuer das Land, und Flammen umgaben die Bäume, Pflanzen, Tiere und Menschen. Nur wenige der Mocoví sahen die Feuer kommen und sprangen in Flüsse und Teiche, wo sie in Wasserschweine und Krokodile verwandelt wurden. Zwei von ihnen, ein Mann und seine Frau, flohen sich in einen hohen Baum und sahen von dort aus zu, wie die Feuerströme sich über das Antlitz der Erde ergossen; plötzlich aber schoss das Feuer in die Höhe und verbrannte ihre Gesichter und verwandelte sie so in Affen ... «

Der Jesuit und Missionar Guevara erzählt den Mythos der Mocoví vom Sturz der Sonne aus dem Himmel (1764)

Vor viertausend Jahren ging auf eine Gegend in Nordargentinien ein Meteoritenschauer nieder. Die Ureinwohner des Gebiets nannten es Pinguem Nonraltá, Guaycurú für „Feld des Himmels“. El Taco, ein Brocken von 1998 Kilo, ist ein Bruchstück einer 800 Tonnen schweren Eisenmasse aus dem Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter, die älter als die Erde selbst ist. Der Meteorit wurde im Jahr 1962 von einem Bauern entdeckt, der seine Felder pflügte, und durch eine von den Vereinigten Staaten und Argentinien gemeinsam entsendete wissenschaftliche Expedition geborgen. Er wurde offiziell der Smithsonian Institution übergeben. Da die nordamerikanischen Wissenschaftler nicht über die Präzisionstechnologie verfügten, die erforderlich ist, um so große Fundstücke zu zerschneiden, wurde der Meteorit ins Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz verfrachtet. In einer schwierigen Prozedur, die mehr als ein Jahr in Anspruch nahm, wurde El Taco in zwei Hälften geteilt. Seitdem befindet sich ein Teil in der Smithsonian Institution in Washington, der andere im Planetarium von Buenos Aires.

Nach beinahe 45 Jahren der Trennung kommen die zwei größten Teilstücke des El Taco jetzt zum ersten Mal in Deutschland wieder zusammen. Die Wiedervereinigung geschieht in einer Ausstellung von Faivovich und Goldberg, einer Etappe ihrer Reise zur dOCUMENTA (13), wo im Jahr 2012 eine weitere Phase ihres Projekts A Guide to Campo del Cielo stattfinden wird.

Guillermo Faivovich (* 1977) und Nicolás Goldberg (* 1978) leben und arbeiten in Buenos Aires (Argentinien).

Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt des Portikus (Frankfurt), des Ministerio de Ciencia, Tecnología e Innovación Productiva (Argentinien), des Naturmuseum Senckenberg (Frankfurt), der Smithsonian Institution, National Museum of Natural History, Washington D.C., und des Gobierno del Pueblo de la Provincia del Chaco, Argentina.

Verwirklicht mit großzügiger Unterstützung der Stadt Frankfurt und des Ministerio de Ciencia, Tecnología e Innovación Productiva (Argentinien).

 

Vorwort aus dem Buch The Campo del Cielo Meteorites – Vol. 1: El Taco:

Carolyn Christov-Bakargiev: Was existiert in dieser Welt, das älter ist als die Welt?

Daniel Birnbaum: Sie meinen also, dieses Objekt ist in gewisser Hinsicht nicht Teil unserer Welt?

CCB: Ja – es ist zu einem Teil unserer Welt geworden, aber es kommt von sehr weit her und ist sehr, sehr alt. Es ist transzendent und immanent zugleich. Und es befindet sich in einem so unmöglichen Zustand, weil es eine Art Trauma durchlebt hat, als es in unsere Umlaufbahn gezogen wurde und zerbarst.

DB: Ich nehme an, dieses Objekt wird das älteste innerhalb der Ausstellung sein. Sind Sie sicher, dass es sich um ein Kunstwerk handelt?

CCB: Sind wir uns überhaupt jemals sicher? Sind wir uns sicher, »wir« zu sein, weil wir wissen, dass wir sterben werden, und weil wir des Sprechens fähig sind? Was macht in Ihren Augen ein Kunstwerk aus?

DB: Nun, ich bezweifle, dass ich Ihnen aus dem Stegreif eine befriedigende Definition des Kunstbegriffs geben kann. Aber ich bin durchaus überzeugt, dass dieses kosmische Readymade als Kunstwerk akzeptiert werden wird – als ganz hervorragendes Kunstwerk übrigens. An dieser Stelle möchte ich gerne auf die unlängst erschienene Publikation Nach der Endlichkeit des französischen Philosophen Quentin Meillassoux verweisen. Er befasst sich mit Objekten, die so alt sind, dass sie nicht nur der menschlichen Existenz und intelligentem Leben vorausgehen, sondern allen uns bekannten Lebensformen. Er fragt, was diese Objekte über unsere moderne Philosophietradition, deren Ausgangspunkte Subjektivität und Sprache sind, aussagen können. Ihm zufolge erzwingen die Existenz dieser Objekte und die Tatsache, dass wir sie wissenschaftlich beschreiben können, einen Abfall von der Behauptung der Endlichkeit, wie sie das moderne Denken nach Kant wesentlich bestimmt hat. Der Meteorit könnte als Beispiel dienen …

CCB: Ja, das könnte er, wenn man ihn unter dem Aspekt der Zeit betrachtet. Karl Marx allerdings greift in »Die Meteore«, dem fünften Kapitel seiner Doktorarbeit, auf die epikureische Theorie der Himmelskörper zurück, um nahezu die Gegenposition zu vertreten. Die Materialität der Meteoriten zu begreifen enthebt uns seiner Meinung nach jeglichen Glaubens an das Unerkennbare und Unendliche: »Die höchste Wirklichkeit aber der Schwere sind die Himmelskörper. In ihnen sind alle Antinomien zwischen Form und Materie, zwischen Begriff und Existenz, die die Entwickelung des Atoms bildeten, gelöst, in ihnen alle Bestimmungen, die gefordert wurden, verwirklicht.« Auf die eine oder andere Art wussten die präkolumbischen Bewohner der Region seit undenklichen Zeiten von dem 1200 Kilometer nördlich von Buenos Aires in Argentinien gelegenen Meteoritenfeld des Campo del Cielo, und die Spanier wussten seit dem späten 16. Jahrhundert davon, obwohl Wissenschaftler erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu der Überzeugung gelangten, dass Meteoriten vom Himmel fielen und nicht etwa Steine waren, die vom Erdkern herrührten.

DB: Eine letzte Frage. Diese Ausstellung möchte zusammenfügen, was zusammengehört. Aber unser Stein bleibt natürlich weiterhin zweigeteilt. Hat dieses Vorhaben nicht etwas Tragisches?

CCB: Ich sehe die Zusammenführung des Meteoriten El Taco vom Campo del Cielo als freudvolle Arbeit, die – und sei es auch nur provisorisch – die Möglichkeit der Wiedervereinigung feiert. Dass El Taco nach der Ausstellung wieder geteilt wird, zeigt doch nur, dass die Kunst das Leben übertrumpfen kann.

Fotos: Katrin Schilling