12.12.–19.12.1989

Im April diesen Jahres zeigte der Portikus Gerhard Richters Zyklus "18. Oktober 1977", eine Arbeit, die national wie international eine außergewönliche Resonanz sowohl beim Publikum als auch bei den Kritikern fand.

Nachdem das ICA in London bereits im Sommer die Ausstellung übernommen hatte, wurden die Bilder zuletzt als Teil einer weitergreifenden Richter-Präsentation im Rotterdamer Museums Boymans van Beuningen gezeigt, deren Konzeption darauf ausgerichtet war, den Zyklus in den Kontext von Richters GRAUEN BILDERN aus der Mitte der 70er Jahre und neueren ABSTRAKTEN BILDERN zu stellen.

Der Portikus möchte nun in einer kurzfristig organisierten, einwöchigen Intervention drei große ABSTRAKTE BILDER mit den Titeln "November", "Dezember", "Januar" zeigen, die Richter im Anschluß an seine Auseinandersetzung mit dem Stammheim-Zyklus gemalt hat. Die Absicht, die damit verfolgt wird, besteht in dem Versuch, den komplexen werkimmanenten Zusammenhang zu veranschaulichen, der zwischen beiden Werkgruppen besteht. Ein Zusammenhang, der sich als ein Entwicklungsprozess innerhalb seines Werkes nachweisen läßt und über die methodische Unterscheidung von Abstraktion und Realismus hinaus, auf ihre analoge Anschauung als Bild, d.h. die Realität des Bildes verweist.

Richters malerisches Konzept entzieht sich einer stilistischen Vereinnahmung, die Inhalte einer bestimmten Darstellungsform unterwirft. Sein zentrales Problem ist die Frage nach dem Thema, das umgekehrt eine jeweilige Darstellungsform verlangt.

Gerade bei den Stammheim-Bildern zeigt sich in besonderem Maße die Gefahr, dieses wechselseitig bedingte Verhältnis von Form und Inhalt außer acht zu lassen, d. h., die in den Bildern angesprochene Thematik isoliert von den Bildern zu diskutieren. Eine Gefahr, die aus dem Mißverständnis herrührt, daß es sich bei Richters Stammheim-Zyklus um Abbilder handelt, die eine von den Vorlagen vorgeprägte Sichtweise wiedergeben. Richter greift jedoch gerade die nicht-differenzierende Betrachterperspektive an, die das fotografische Ab-Bild mit der Wirklichkeit des Abgebildeten gleichsetzt.

Eine solche Perspektive verstellt demnach den Blick auf die Bilder, da sie sich über die Frage nach ihrer konkreten Thematik hinwegsetzt, die letztlich der entscheidende Ansatz zu ihrer Bewertung ist. Richter potenziert durch die malerische Umsetzung die Distanz, die zwischen dem realen Gegenstand und seinem Ab-Bild im Foto besteht, auf eine dritte Anschauungsebene. Die abstrahierende Sicht auf das Vor-Bild distanziert sich also von dessen Anspruch der Authentizität in bezug auf das dargestellte Ereignis und ermöglicht dadurch eine andere, an der Realität orientierte Wahrnehmung des Themas.

Im Vergleich dazu erscheinen die ABSTRAKTEN BILDER als Realisationen einer analogen Bild-Anschauung. Durch die Verdichtung von sich durchdringenden und überlagernden Malprozessen, die nach genauem Kalkül vollzogen werden, definiert sich der Bedeutungsgehalt des Bildes. Dieser unterscheidet sich insofern von einem gegenständlich determinierten und somit unmittelbar wiedererkennbaren Inhalt, als er den Boden empirischer Gewißheit verläßt, und die Unzulänglichkeit des Wahrnehmungsvermögens mit einer Realität konfrontiert, die nur im und durch das Bild existiert.

Fotos: Katrin Schilling