31.01.–07.03.2004

Die Installation von Cildo Meireles mit dem Titel Occasion ist bereits in den frühen Siebziger Jahren entstanden, sie ist jedoch bislang nie realisiert worden und ist nun erstmals im Portikus ausgestellt. Zwei unabhängig voneinander zugängliche Räume sind durch eine große Spionspiegelscheibe miteinander verbunden. Im ersten hell erleuchteten Raum befindet sich eine Schüssel gefüllt mit Münzen und Geldscheinen, und an den Wänden sind große Spiegel angebracht. Der Betrachter ist umschlossen von einer Raumskulptur, die ihn gleichermaßen mit dem eigenen Spiegelbild und einem Haufen von offen zugänglichem Bargeld konfrontiert; einzeln betrachtet ein gewohnter Anblick, doch zusammen eine Irritation. Der zweite Raum ist leer und abgedunkelt, so dass die Spionspiegelscheibe von dieser Seite zum Fenster wird und den Einblick in den ersten Raum erlaubt. Einerseits kann man von hier aus andere Ausstellungsbesucher unbemerkt beobachten, andererseits erlaubt dieser Durchblick, das eigene Handeln und Empfinden im ersten Raum zeitlich und räumlich verschoben nochmals zu überdenken.

Cildo Meireles hat seit den späten Sechziger Jahren in zahlreichen Arbeiten immer wieder Geld zum Thema gemacht. Árvore do Dinheiro (1969) ist ein mit einem Gummiband gebündelter Stapel von einhundert gefalteten 1-Cruzeiro Geldscheinen, auf einem Sockel platziert und betitelt mit der Aufschrift "Titel: 100 1-Cruzeiro Banknoten / Preis: 2.000 Cruzeiro." Die Arbeiten Zero Cruzeiro und Zero Centavo (1974-78), Zero Dollar und Zero Cent (1978-84) sind vom Künstler hergestellte und in den Umlauf gebrachte Geldscheine und Münzen, die den Zahlenwert Null tragen, also vorgeben, sogar weniger wert zu sein als das Papier, auf dem sie gedruckt, oder das Metall, aus dem sie geprägt wurden. Eppur Si Muove (1991) beinhaltet einen Prozess, bei welchem Meireles 1000 kanadische Dollar in britische Pfund wechseln ließ, um sie anschließend in französische Franc umzutauschen. Nach über hundert Transaktionen dieser Art blieb letztendlich ein Restbetrag von vier Dollar und ein paar Cent übrig.

Meireles gelingt es mit diesen konzeptionellen Arbeiten, die Diskrepanzen zwischen Tauschwert und Gebrauchswert bzw. zwischen einem symbolischen und einem reellen Wert offenzulegen, aber auch die Willkür des freien Marktes zu thematisieren. Mit der im Portikus gezeigten Arbeit Occasion wird diese Kritik abermals um eine durch den Betrachter physisch zu erlebende Dimension erweitert. Ist es die Scham vor dem eigenen Antlitz, das anerzogene Rechts- und Wertempfinden oder doch die Angst vor der Kontrolle durch den heimlichen Beobachter im benachbarten Raum, die davor zurückhält, sich am Geld zu bedienen? Occasion umfasst so eine Vielzahl von weiteren Aspekten und Fragestellungen, die sich durch Cildo Meireles' Werk seit den späten Sechziger Jahren wie ein roter Faden ziehen: Simultanität und verschiedene Konzepte von Zeit, Identitätskonstruktion und Selbstreflexion, geographische sowie architektonische Perspektivverschiebungen.

Cildo Meireles ist einer der heute einflußreichsten Vertreter einer Künstlergeneration, zu welcher unter anderen auch Antonio Manuel, Artur Barrio und Umberto Costa Barros gehörten, die aus Rio de Janeiro heraus in den späten Sechziger Jahren in Erscheinung trat. Die schwierige politische und kulturelle Situation Brasiliens während der Militärdiktatur war für Cildo Meireles und seine Kollegen gleichermaßen prägend wie der starke Einfluss der etwas älteren sogenannten Neo-Konkreten wie Hélio Oiticica, Lygia Clarke und Lygia Pape. Diese Künstler waren nicht länger an der passiven Natur der meisten Kunstwerke interessiert, wie man sie in den Museen fand, sondern an einer Kunst, die in besonderer Weise den Betrachter mit einbezieht. In ihren Werken entwickelten sie einen konzeptionellen Ansatz, der direkt auf die kulturellen Bedingungen Brasiliens reagierte. In Cildo Meireles' Werk lässt sich aber darüber hinaus die intensive Auseinandersetzung mit Marcel Duchamp, den Dadaisten und der Konzeptkunst in Europa und Nordamerika aufweisen. Immer wieder gelingt es Meireles durch sehr direkte formale Setzungen, den Betrachter mit den eigenen sozialen, kulturellen, historischen und politischen Konditionierungen zu konfrontieren. Paulo Herkenhoff hat Meireles' Arbeit als eine poetische Theorie der Gesellschaft beschrieben, die gleichermaßen Fragen nach politischen, ökonomischen, kommunikativen oder ideologischen Strategien stellt.

Cildo Meireles (*1948) lebt und arbeitet in Rio de Janeiro.