14.09.–20.10.2002

Unter dem Titel "Kakteenhaus" verwandelt Simon Starling den Ausstellungsraum des Portikus in ein Gewächshaus. Ein für die Installation entwickeltes Heizsystem hebt die Raumtemperatur entsprechend an. Diese Heizung besteht aus dem Motor eines Volvos. Das Automobil selbst, welches auf der Rückseite des Portikus steht, ist mit dem Motor durch die nötigen Leitungen, wie Benzinschlauch, Kühlwasserschläuche, Auspuffrohr und elektrische Kabel verbunden. Der Motor wird vom Auto aus gestartet. Alle Zu- und Abläufe zum Motor sind lediglich entsprechend verlängert, damit die auf der Wegstrecke freiwerdende Hitze den Raum aufheizen kann. Im Ausstellungsraum sind durch dieses Prinzip die idealen Bedingun-gen für die vorübergehende Beherbergung eines großen Kaktusses geschaffen. Der Kaktus ist vor Ausstellungsbeginn in eben diesem roten Volvo von Südspanien nach Frankfurt gereist.

Simon Starling erzählt mit seinen Arbeiten Geschichten; immer wieder zeigt er weitgespannte Zusammenhänge zwischen Orten, Dingen, kulturellen und historischen Gegebenheiten auf. Starling selbst nimmt dabei die Rolle des literarischen Erzählers ein, der die Pointe nie direkt preisgibt, sondern meist den langen Weg sucht oder den Umweg geht, um anschließend in einer oft absurden Reduktion ein Netz von Bezügen darzustellen.

Ausgangspunkt seiner Ausstellung im Portikus ist die andalusische Tabernas Wüste, etwa 30 Kilometer nördlich von Almería. Der fast 12.000 Hektar große und sich ständig weiter ausdehnende Landstrich zwischen den Bergen von Los Lilabres und Alhamilla gilt als die einzige wirkliche Wüste Europas, und ihre Geschichte zeichnet sich durch zahlreiche Ver-suche ihrer Nutzbarmachung aus. In den sechziger und siebziger Jahren wurde die Gegend als idealer Drehort für Wild West Filme entdeckt und gelangte vor allem durch die sogenannten Spaghetti Western von Sergio Leone zu großer Berühmtheit. Drei Filmstudios, die heute vorwiegend als Tourismusattraktionen dienen, sind Zeugnisse dieser Epoche. Kakteen, eigentlich nicht zur europäischen Vegetation gehörend, jedoch von spanischen Seefahrern seit dem 15. Jahrhundert als beliebtes Präsent mitgebracht, wurden als Kulissen für Filme wie "Zwei glorreiche Halunken" importiert und gehören heute zum Landschaftsbild der Tabernas Wüste. Während in der Vergangenheit nur einige Oasen den Anbau von Südfrüchten erlaub-ten, hat sich in den letzten Jahrzehnten der großflächige Anbau von Gemüse, Obst und Blumen unter riesigen Plastikplanen und ein gewinnbringender Export nach Nordeuropa etabliert. Die verschwenderische Bewässerung der Keimlinge und Pflanzen in dieser unfruchtbaren Gegend und die dadurch verursachte Absenkung des Grundwasserspiegels führt jedoch zu einer alarmierenden Ausdehnung der Wüstenregion. Gleichzeitig aber beherbergt die Tabernas Wüste mit ihren über 3000 Sonnenstunden im Jahr das bedeutendste europäische Forschungszentrum für Solarenergie, die Plataforma Solar de Almería. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt wird momentan die Rentabilität des Exports von Solarenergie nach Deutschland untersucht. Die Plataforma Solar betreibt darüber hinaus eine große Entsalzungsanlage von Meerwasser für den Gebrauch in der Landwirtschaft.

Mit seiner Installation im Portikus gelingt es Simon Starling, all diese unterschiedlichen Aspekte der Tabernas Wüste in der widersprüchlichen Beziehung zwischen einem Automotor und einem Kaktus aufzugreifen. Die Wüste ist das jüngste Ökosystem der Natur, und der Kaktus gilt als jüngstes und ökonomischstes Geschöpf der Pflanzenwelt. Der Verbrennungs-motor hingegen, der auch nach hundert Jahren noch in der Automobilindustrie eingesetzt wird, zeichnet sich durch eine enorme Ineffizenz aus. Nur etwa dreißig Prozent der verbrannten Rohstoffe werden in kinetische Energie umgewandelt und der Rest wird als Wärme freigesetzt. In der Ausstellung "Kakteenhaus" findet der Kaktus nun gerade im Automotor mit seiner verschwendeten Energie einen lebensrettenden Widerpart. Darüber hinaus kann die Reise des Kaktus von Texas oder Arizonas nach Spanien und schließlich weiter im Volvo nach Frankfurt als ein Sinnbild für eine Gesellschaft gelesen werden, die alles immer und überall möglich machen will, gleichermaßen wie auch die Wild West Filmkulissen in Almería, die Landwirtschaft unter Plastikplanen oder die Entsalzungsanlagen von Tabernas.

Simon Starling (* 1967) lebt und arbeitet in Glasgow.

Die Ausstellung wird unterstützt durch die Kulturstiftung der Deutschen Bank sowie The British Council und die Alfred Ritter GmbH & Co. KG.